Santa Fu und -Claus
Nervosität und Anspannung vor einem Chorauftritt sind nicht ungewöhnlich – zeigen sie doch, dass sich die SängerInnen, die in Kürze die Bühne betreten, intensiv vorbereitet haben, „abliefern“ wollen und mit vollem Herzen dabei sind. Anspannung war auch an diesem sonnigen Freitag spürbar, als sich Cantaloop auf einem Parkplatz im Hamburger Norden versammelte. Wenngleich diese bei vielen von uns noch etwas umfangreicher war als sonst. Und die durch folgende Aussagen nicht eben gemindert wurde:
„Haben Sie alle bereits Ihre Ausweise und Telefone abgegeben?“„Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn das Publikum mit verschränkten Armen auf den Stühlen sitzt und keinerlei Emotionen zeigt. Wenn Teile der Zuhörer aufstehen und den Raum mitten im Konzert verlassen, wenn geredet oder gefeixt wird. Viele werden Ihre Art von Musik nicht gewöhnt sein.“„Nach dem Konzert bleiben Sie bitte so lange auf der Bühne stehen, bis die Zuhörer den Raum verlassen haben.“„Und wenn irgendwo während des Konzerts ein Handy klingelt, muss ich die gesamte Veranstaltung abbrechen. Da kenne ich nichts!“
Willkommen bei Kultur im Knast. Seit 2006 organisiert das ehrenamtliche Team des Hamburger Fürsorgevereins pro Jahr rund 25 bis 30 Veranstaltungen für Gefangene in Hamburger Haftanstalten mit dem Ziel, den Verurteilten in der Abgeschiedenheit und Monotonie des Alltags kulturelle Inspiration und „Nahrung für den Kopf“ zu bieten. Cantaloop überlegte nicht lange, als uns 2016 die Anfrage erreichte, ebenfalls eine Stunde musikalisch zu gestalten. Und nun standen wir vor dem Eingang zu Haus Zwei der JVA Fuhlsbüttel, mit 800 Haftplätzen eine der größten Hamburger Anstalten für den Strafvollzug, den Hanseaten eher unter dem Kürzel „Santa Fu“ bekannt.
Erleichtert um Ausweise, Handys, Taschen und Trinkflaschen traten wir geschlossen den Gang hinter die Gefängnismauern an und testeten nach kurzer Einweisung durch die Organisatoren zunächst die Akustik des für das Konzert vorgesehenen Saals. Dann schnell umziehen, während sich der Raum mit rund 60 Personen füllte, die aus freien Stücken erschienen waren und nicht etwa, weil „Kultur im Knast“ verpflichtendes Programm für die Gefangenen ist.
Wir hatten 60 Minuten quer durchs Cantaloop-Repertoire vorbereitet – und selten war der Kontakt zum Publikum so unmittelbar. Wo man in gewöhnlichem Scheinwerferlicht oftmals nur die erste Reihe erahnt und der große Rest der Zuhörer in waberndem Dunkel verschwimmt, waren Mienen und Stimmungen im rein männlichen Publikum klar zu erkennen.
Um es kurz zu machen: Es wurde ein sehr besonderes Konzerterlebnis für uns.
Weil der Großteil des Publikums sich eben nicht mit versteinerter Miene und verschränkten Armen präsentierte und wir durchaus das eine oder andere Lächeln bemerkten.
Weil so mancher Zuhörer anfing, bekannte Rhythmen zu klopfen oder Texte mitzusingen (besonders bei unseren Straßenfegern „Ain´t nobody“ oder „Skyfall“).
Weil bis auf eine Ausnahme niemand den Raum verließ.
Weil, so die Kultur-im-Knast-Organisatoren in einer abschließenden Dankesmail, „die aufmerksame Ruhe die Beamten überrascht und beeindruckt hat. Das haben wir nicht oft.“
Weil eine Zugabe gefordert wurde und die Zuhörer den Cantaloop-SängerInnen nach dem Konzert auf der Bühne persönlich Rosen überreichten (einige Damen schnitten hierbei besonders gut ab und konnten kleine Sträuße mit nach Hause nehmen. Aber auch die Herren der Schöpfung gingen nicht leer aus, was wiederum bislang offensichtlich kaum vorgekommen ist).
Und nicht zuletzt, weil jeder einzelne von uns nach dieser besonderen Stunde ein ganzes Stück geerdeter den Weg nach draußen wiederfand.
Es war gut, dass nun nicht jeder für sich nach Hause ging. Vielmehr nutzten wir die etwas verspätete „Nach-Weihnachtsfeier“ beim Griechen im Anschluss, um das Erlebte Revue passieren zu lassen. Zwischen Giros und Moussaka stimmten wir auch den einen oder anderen Song an (wir können einfach nicht anders!). Das brachte uns eine kurzfristige Einladung zweier Gäste ins sommerliche Süddänemark ein („Ihr MÜSST einfach kommen und bei uns singen!“). Und, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, gab es zum Schluss als Präsent zum neuen Jahr für jeden Loopie Kerzen vom Chorleiter.
Man könnte auch sagen: An diesem Freitag sind uns eine ganze Menge Lichter aufgegangen.