Badische Nachlese, Folge 3: Euphorie@night
Der Montag beginnt mit einer wichtigen Entscheidung: Stelle ich den Wecker etwas früher und habe so die Chance auf frisch aufgeschnittenen und herrlich duftenden Obstsalat vom Frühstücksbuffet -oder drehe ich mich wohlig noch einmal um in dem Bewusstsein, dass das frische Obst dann alle ist und für mich nur eine hochgezuckerte industrielle „Mischung nach Obstart“ übrig bleibt, bei der ich nicht in jedem Fall erkennen und schon gar nicht erschmecken kann, als was die Stückchen ursprünglich mal am Baum gehangen haben? Ach, egal, Hauptsache es gibt noch gekochte Eier – und auch ein Brötchen mit kleinen Butterpäckchen der Marke „Milena“ werde ich hoffentlich noch abstauben können (an dieser Stelle herzliche Grüße nach Katalonien!).
Cantaloop gönnt sich am Montag einen „Ausschlaf-Tag“; die erste Probe für das abendliche Jazz@Night-Konzert ist erst gegen elf angesetzt. Die Krypta steht uns heute nicht mehr zu Verfügung, aber wir hatten gestern aus der Straßenbahn diesen einladenden Park unweit des Hauptbahnhofs entdeckt – warum nicht mal wieder eine Probe unter freiem Himmel? Wir stopfen uns wohlgenährt in die Linie 3 und stimmen die ersten Töne an. Öffentliche Verkehrsmittel scheinen bei uns plötzliche Singe-Impulse freizusetzen. Außerdem ist ein Chorfest ohne spontane städtische Gesangseinlagen ja auch nicht ganz ernst zu nehmen.
Die Idee mit der Parkprobe haben tatsächlich nicht nur wir. Aber Musik verbindet und so nehmen wir unter einem großen Baum Platz. Zuerst wird um die Sonnenplätze gekämpft, nach ein paar Minuten schieben wir uns, inzwischen in Kreisaufstellung, in den Vollschatten. Den ganz Gebeutelten unter uns sind Sonnen- oder Schattenplätze zunächst egal – sie werfen erst einmal eine Allergiepille ein. Wir proben Repertoire abseits des Wettbewerbsprogramms, das wir zuletzt gefühlt in grauer Vorzeit angestimmt haben, aber es ist erfreulicherweise noch sehr viel Schönes dabei – und lockt Spontanzuhörer an.
Passt, wackelt und hat Luft. Gegen halb eins verabschiedet sich ein Großteil der Gruppe Richtung Messe zu „G1, Tag 2“, andere gehen fremd und statten den Kammerchören im Paulussaal einen Besuch ab. Der Saal ist kleiner als jener in der Messe, aber die Klänge der SängerInnen nehmen uns gänzlich gefangen. Diese Wucht! Diese Intensität! Vibration bis in den letzten Winkel des Raumes. Gratulation, besonders an unsere Hamburger KollegInnen des Cuori Ensembles und von HamburgVOKAL! Wobei das Pflichtstück der Kategorie A1 in der Probephase voraussichtlich nicht nur glühende Anhänger gefunden hat.
Nachmittags trudelt eine E-Mail von Christoph ein. Wir dürfen später gerne auch in Flip-Flops im Jazzhaus auflaufen, da unser abendlicher Gig barfuß vonstattengehen wird. Gute Idee! Als wir am Jazzhaus ankommen, stehen wir aber eher, als das wir laufen. Eine Besucher- und Sängerschlange in der Abendsonne, die sich durch fordernde Fahrradklingeln nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Das Jazzhaus ist ein Club im Besten Sinne – ein Kellergewölbe par Excellence, eine schicke Bar, hier bekommt man Lust, aufzutreten. In diesem Moment wissen wir noch nicht, was dieser Abend für uns (und wohl auch viele andere) bedeuten wird. Acht Chöre in vier Stunden stehen auf dem Programm, Cantaloop ist an Nummer vier gesetzt. Pünktlich um 20:45 Uhr entern wir die Bühne und starten mit „Ain´t nobody“, einem echten Klassiker. Als dann David diesen mit einer noch nie dagewesenen und bahnbrechende Beatbox-Einlage unterlegt (und warum? Einfach weil er´s kann!!), das Publikum bereits nach den ersten Takten aus dem Häuschen ist und nicht zuletzt ein Chorleiter über sich hinauswächst und genau die richtigen Worte zur richtigen Zeit findet, laufen die Dinge ganz wie von selbst. So schnell kommen wir kaum hinterher.
Unseren Auftritt erleben wir ein wenig wie in Trance. Man könnte auch sagen, wir singen uns in einer Mischung aus Euphorie, Trotz und Wahnsinn alles von der Seele, was sich dort angestaut hat. Die wahre Bühnentherapie. Der Freiburger Himmel wird wieder heiter, er funkelt geradezu und es ist kaum übertrieben, wenn wir sagen, dass die Zeit im Jazzhaus einer der intensivsten Momente unserer Chorgeschichte ist! Und das liegt nicht nur an den phantastischen weiteren Chören, die wir an diesem Abend genießen. Es ist die Stimmung als solche, die uns umhaut, und die, so ganz nebenbei, das Wesen eines Chorwettbewerbes, das Werten und jeden Konkurrenzgedanken ein Stück weit ad absurdum führt! Da wird über alle Chorgrenzen hinweg einfach die Freude am gemeinsamen Singen gefeiert- und genau so sollte es sein! Wer bis zum Schluss durchhält, erlebt spontane Bühnentanzeinlagen, DJs in Bestform, Chorleiter bei ihrer Stage-Diving-Premiere, zwei Geburtstage mit Sektausschank um Mitternacht und Zuschauer, die nicht wissen, was sie mit ihren Händen machen sollen. Auf die Ohren zum Schutz vor dem wahnwitzig schönen Lärm oder doch lieber zappeln und klatschen lassen?
Als die DJs alles gegeben haben und das Licht wieder angeht, beeindruckt das kaum. Musik aus, Gesang an. Schließlich gibt es da so ein Pflichtstück, das knapp 90% der Anwesenden auswendig können (und vermutlich auch die weiteren 10%, sofern sie in der Messe dem Wertungssingen beigewohnt haben. Fünfzehnmal „Secret of Life“ innerhalb von zwei Tagen sollten für eine Auswendig-Session reichen!) Die echten Cantaloop-Nachteulen sind auch danach noch nicht müde und suchen mit einigen Kollegen von Twäng eine Möglichkeit, noch irgendwo etwas trinken zu gehen. Sie landen schlussendlich in einer Kneipe namens „The Great Räng Teng Teng“.
Ein Name, der diesen legendären Maiabend ziemlich gut zusammenfasst.