Badische Nachlese, Folge 4: Brasilianisches Finale
Den Freiburg-Dienstag gehen wir geruhsam an und lassen die gestrige Partynacht im Jazzhaus noch ein wenig nachwirken.
Der erste Programmpunkt des Tages ist die Bekanntgabe der Ergebnisse im Konzerthaus. Wir platzieren uns, strategisch günstig, wieder im linken Rang und warten auf das, was kommen mag. Die Stimmung ist ausgelassen, La Ola-Wellen schieben sich durch den Saal und es liegt ein Knistern in der Luft wie vor der Zeugnisvergabe. Wohlgemerkt: Die Chöre sorgen höchstselbst für gute Vibes, dabei hätte ein knackiges Rahmenprogramm diesem (O-Ton der Veranstalter) „wichtigsten Moment des Wettbewerbs“ durchaus gutgetan. Tausende SängerInnen in einem Raum, was eröffnet das für Möglichkeiten! Das bloße frontale Verlesen der Wertungen kommt da leider etwas trocken daher- wenn es natürlich auch eine Freude ist, zu beobachten, in welcher Ecke des Saals die nächste Gruppe jubelnd die Arme hochreißt.
Bis zur Kategorie G1 müssen wir eine ganze Weile warten- sind dafür aber, analog zum Wettbewerb, als Erste dran. Wir werden mit 20,0 Punkten bedacht. Eine glatte Zahl, die uns etwas ernüchtert zurücklässt. Wäre da nicht noch etwas mehr drin gewesen? Insgesamt ist das Level in unserer Kategorie erfreulich hoch- und wir gratulieren allen Preisträgern und „Mitchören“ aufs Herzlichste!
Bis zu „unserem“ Park ist es nicht weit und so lassen wir uns dort nach dem Ende der Zeremonie für ein Päuschen und zur Ergebnisanalyse nieder. Richtig viel schlauer werden wir nicht- dafür macht der nahegelegene Supermarkt an diesem Tag einen Extraumsatz an Kaltgetränken, Obst und Antipasti.
Nach dem Preisträgerkonzert testet eine Cantaloop-Kleingruppe eine brandneue und so noch nie dagewesene Form der Zuschauerakquise (schließlich steht für uns am Abend noch ein Konzert an), die sich ganz einfach nachmachen lässt: Die musikalische Einkreisung. Und die geht so:
- Man sucht sich in einem Restaurant/Café etc. einen Tisch, der bereits mit Gästen besetzt ist, aber noch genügend freie Stühle vorhält (die Anzahl an Plätzen für SängerInnen sollte aus psychologischen Gründen mindestens 50% betragen, gerne auch mehr (in unserem Fall lag das Verhältnis bei 6:1).
- Man fragt höflich, ob man sich dazu setzen dürfe.
- Man verwickelt den Gast/die Gäste in ein Gespräch und klopft, möglichst unauffällig, das prinzipielle musikalische Interesse ab.
- Sollte Letzteres vorhanden sein, lässt man scheinbar beiläufig, aber mit der nötigen Begeisterung, einen Hinweis auf das Konzert am Abend fallen. (Merke: Diese Methode funktioniert am besten kurzfristig, möglichst direkt am Konzerttag!)
- Wenn man alles richtig gemacht hat, freut man sich ein paar Stunden später über „bekannte unbekannte Gesichter“ im Zuschauerraum. (Lieber Alex, Danke, dass Du mit uns Deinen Tisch geteilt hast und so spontan vorbeigekommen bist!)
Das Abendkonzert führt uns mit der Studentenkantorei Freiburg zusammen; unser musikalisches Doppel feiern wir in der Kirche St. Albert, einen modernen Rundbau mit herausfordernder Akustik. Vor ausgesuchtem Publikum eröffnen die Studenten mit einem beeindruckenden Programm und „frischer“ Sängerschar. (Das Semester und damit die neue Probensaison war erst ein paar Wochen zuvor gestartet.) Respekt! Wir hatten Gänsehaut!
Da übernimmt man gerne den Staffelstab für den zweiten Teil eines spannenden Konzertabends. Die Frage einer Zuschauerin auf dem Kirchenvorplatz, ob wir uns, so wörtlich, „aufgeputscht“ hätten („Sie haben alle so selig gelächelt auf der Bühne!“), fassen wir gerne als Kompliment auf – unser Aufputschmittel heißt Gesang! Und das gibts rezeptfrei!
Netterweise hat die Kantorei in einer Bar mehrere Tische reserviert und wir machen uns, mangels Straßenbahn (Zugausfall wegen Signalstörung) zu Fuß auf den Weg durch die Nacht, bis wir mitten in Brasilien landen. Die Bar „Brasil“ bietet eine charmante Cocktailauswahl und genügend Gelegenheiten für chorübergreifenden Austausch, während wir das Service- und Küchenpersonal mit der gleichzeitigen Bestellung von etwa 100 Flammkuchen zu logistischen Höchstleistungen motivieren. Hervorragende Bedingungen für spontane Gesangssessions (und ein weiteres Geburtstagsständchen um Mitternacht) bietet das Haus obendrein. Liebe Kantorei, vielen Dank für den Abend- es war schön mit Euch!
Unserem Abreisetag blicken wir etwas wehmütig entgegen. An den Freiburger Sommer kann man sich gewöhnen! Einige Loopies bleiben noch oder nutzen die Hamburger Ferienwoche, um noch einen Kurzurlaub in der Gegend dran zu hängen.
Bei der Abfahrt spielen sich an unserer Straßenbahnhaltestelle Szenen ab, wie sie das ZDF-Herzkino am Sonntagabend nicht besser hätte schreiben können. Die Bahn fährt an; erst langsam, dann immer schneller laufen die Zurückbleiber nebenher, bis wir sie irgendwann, eifrig winkend, aus den Augen verlieren…denn wie gesagt, die Bahn fährt.
In unserem Fall allerdings nur bis Kassel-Wilhelmshöhe.
Wie viele Ansagen durch den Zuglautsprecher hatten wir im Laufe unseres Chorreiselebens schon gehört:
In geänderter Wagenreihung…Heute ohne Wagen eins bis zwölf…Mit eingeschränktem gastronomischen Angebot…oder gar ohne mobilen Brezelverkäufer! Geschenkt! Heute sind es gleich zwei (!) „defekte Triebköpfe“, die uns in Nordhessen stranden lassen. „Cantaloop! Steigt! Unfreiwillig! Aus!“ Der nächste Zug in Richtung Hamburg soll uns mitnehmen.
Wir machen aus der Not eine Tugend: Da ein Bahnsteig für einen Chor auch immer eine (potenzielle) Bühne ist, geben wir ein paar Stücke (hier ein Video) aus unserem aktuellen Programm zum Besten- nicht ohne ein paar Flyer für unser nächstes Konzert in der Markthalle vor die überall gezückten Smartphones zu halten. Schließlich stehen dort viele potenzielle Hamburg-Reisende. Und, wer hätte das gedacht: Ein paar CDs bringen wir auch an den Mann und die Frau!
Der Folgezug platzt aus allen Nähten. Es ist der Mittwoch vor dem langen Wochenende und unsere Reservierungen sind futsch. Egal, alle rein da! Die weitere Reise verbringen wir einzeln sitzend, stehend oder im Rotationsverfahren. Das Ende unserer tollen Tage im Süden franzt daher leider etwas aus und bietet nicht ganz das Finale, das die Zeit in Freiburg verdient hätte. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.
Viel wichtiger ist das, was wir erleben durften: Intensive musikalische Momente und einen Chor, der noch ein ganzes Stück weiter zusammengewachsen ist (Stichwort „Singende Horde“!) Und noch viel entscheidender ist, was wir in der Zukunft tun: Freiburg hat uns inspiriert, wir platzen fast vor neuen Ideen! In diesem Sinne: Wir lassen von uns hören!