Das Cantaloop-Hannover-Tagebuch – Teil II: Der Chorus
Die silber-grünen Wagen der Hannoveraner Stadtbahn erfahren an diesem Vormittag eine optische Aufwertung. An der Haltestelle Büttnerstraße ergießt sich ein Schwarm an Farbklecksen auf die gesamte Zuglänge. Man sieht Beige, Weinrot, dunkles Orange. Eine Gruppe auf dem Weg in Richtung Laufsteg zur Präsentation der neuesten Frühjahrskollektion? Manch eine bzw. einer pustet dazu mit einem riesenhaften Strohhalm in eine Flasche mit Flüssigkeit. Rauschmittel?
Nein, keine Sorge, wir sind es nur, die aufgeregten 50 auf dem Weg zum Wertungssingen. Nun soll er kommen, der Moment, auf den wir in den letzten Wochen und Monaten so akribisch hingearbeitet haben. Und mit uns sicher all die anderen Chöre, die das Ticket nach Hannover haben lösen können. Das verbindet schon jetzt. Man hört Kichern und Giggeln, wieder andere starren auf einen Punkt in der Ferne und fokussieren sich nach innen. Möglichkeiten, die Anspannung in den Griff zu bekommen, gibt es viele. Hauptsache, am Schluss kommen noch einmal alle zusammen.
Den gemeinsamen Kreis Arm in Arm, kurz bevor wir uns für den Aufgang aufstellen, möchte man festhalten.
Die 20 Minuten auf der Bühne erleben wir wahlweise wie im Tunnel, wie im Rausch, aber durchgängig mit good vibrations – mit herzlichem Dank an das Publikum, ihr habt uns schweben lassen! (Dies gilt ganz besonders für zwei von uns, die krankheitsbedingt kurzfristig nicht mit auf die Bühne können, ihre guten Gedanken aber literweise über uns ausschütten: Imke! Johanna! YOU BOTH ROCK!)
Bei unserem letzten Stück, den „Königskindern“, geben wir noch einmal alles. Fortissimo über 21 Takte. Der Prinz im reißenden Strudel – und bleierne Stille am Schluss, als beide am Grund des Sees liegen. (Nebenbei: Eine kleine Besucherin auf einem unserer weiteren Hannover-Auftritte analysiert die Situation gleich messerscharf: „Er ist tot, oder?“). Die Königskinder haben nicht zusammenkommen können – wir können es heute umso mehr. Ein gemeinsamer Klangkörper, ein gemeinsamer Atem. Für uns sind es zwanzig Minuten auf den Punkt. Dafür haben wir uns während dunkler Corona-Abende vor dem Bildschirm verrenkt und mussten uns vielleicht sogar mehr als einmal aufraffen, am Ball zu bleiben. Jetzt dürfen wir endlich wieder Musik teilen und Musik hören – welch ein Privileg! Da ist es schon fast egal, was am Schluss dabei herauskommt. Wir haben gegeben, was wir können. Für diesen Moment.
Im Café gegenüber wird gefeiert, gegessen, getrunken (die sorgsam abgewogene Banane ist natürlich längst verdaut), bevor wir versuchen, als Zuschauer in den Saal zu kommen, um die weiteren Chöre aus unserer Kategorie zu sehen. Gar nicht so einfach, wo das Programm schon läuft. G1 ist einfach hot stuff! Am nächsten Tag stehen wir extra früh auf, um Plätze zu ergattern. Und man muss sie jetzt einfach noch mal aufzählen:
Ihr lieben Hannover Jazz Singers, P!tch, Please! – Jugendchor Elz, zimmmt, PopKon – Modern Vocal Music, Voice Event, OstBahnGroove, Essenzen, Greg is back, Vocalive, Bonner Jazzchor, Frauenensemble Encantada, Vokalwerk Dresden, Jazzchor Chornfeld, Fanjazztic, Psycho-Chor der Uni Jena: Es war uns ein Genuss und ein Fest, euch lauschen zu dürfen!
Bereits am Donnerstag nehmen wir viel von dem, was wir hören, beschwingt mit zu unserem Kurzauftritt in der Fußgängerzone. Der Platz der Weltausstellung ist als solcher gar nicht zu erkennen, aber die Bäume spenden wohltuenden Schatten, denn auch die Sonne ist heute hot stuff. Unser „Mr. Organisationstalent“ Keno, dessen Geschicke wir in Hannover noch so manches Mal erleben dürfen, ist bereits am Start und regelt alles, was geregelt werden muss (Herzlichsten Dank, lieber Keno – Du hast 50 neue Fans!!). Wir singen unser Sommerset und entschwinden dann in den Schatten – die einen ins Theater am Aegi zum Sonderkonzert, andere lassen sich im Biergarten am Maschsee nieder und wieder andere im Strandbad gegenüber. Und auch dort tauchen aus dem Wasser Sänger*innen aus Berlin auf und schmettern die Königskinder. Näher dran am Thema geht es kaum- super Aktion, zimmmt!
Am Freitagvormittag machen sich „Christoph + 2“ auf zum Jury-Feedback. Wir erhalten Rückmeldung von zwei von uns sehr geschätzten Mitgliedern der Jury, die uns und unser Werden schon lange begleiten. Um es zusammen zu fassen: So muss Feedback sein! Dezidierte Rückmeldung und konstruktive Kritik, mit der man wirklich arbeiten kann- und natürlich gerne auch Lob, wo die Jury Gutes gesehen hat! Wir sind sehr dankbar, nicht nur darüber, dass wir beim Fortissimo offensichtlich wirklich laut waren, sondern besonders über das abschließende Fazit der Bewertung, das uns derart wachsen lässt, dass wir kaum mehr durch die Tür kommen: „Christoph, you and your choir are both still growing and growing!“